Montag, 17. März 2014

Von Julia Hahn (Fotos: Marcin Lachowicz)

Karol Gdanietz (89)
Karol Gdanietz erinnert sich noch genau:
Er hat sich verplappert. Ein paar ehrliche Worte an die falsche Person. Mehr nicht. Ein Missgeschick. Jetzt bringen sie ihn weg, in die fremde Stadt. Als er durch das große Tor geht, dreht er sich um, aber da ist keiner, der im zuwinkt - keiner der sagt: Alles wird gut, bald ist es vorbei. Karol bekommt einen Anzug, weiß mit schwarzen Streifen und eine Nummer: 9644. Er muss arbeiten, hart. Er schwitzt, trägt schwer, bis zu zehn Stunden, Tag ein - Tag aus. Er singt auch und lacht - aber nur dann, wenn bestimmte Leute nicht hinschauen. Seiner Familie schreibt er Briefe, auf Deutsch und mit feiner Handschrift - so wie er es in der Schule gelernt hat. „Es geht mir gut“, steht jedes Mal in den ersten Zeilen. Fehler erlaubt sich Karol nicht. Denn Fehler werden sofort bestraft. Mit Blicken, Worten, Tritten. Das weiß er inzwischen. Er sieht Erwachsene, die heulen wie Kinder. Starke Männer, die vor Schwäche nicht mehr stehen können. Große Persönlichkeiten ganz klein. So viel Leben - totgemacht. Karol hat sich verplappert - zur falschen Zeit, am falschen Ort. Ein Junge war er, keine 16 Jahre alt.

Karol Gdanietz wurde am 4. Juni 1940 festgenommen und ins KZ Stutthof gebracht

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